Peter Fischer: Ananke
Lyrik.
Wer sich auf die Lyrik der Gegenwart einläßt, betritt scheinbar unwegsames, labyrinthisch verflochtenes Gelände. Der Eindruck trügt. Denn auch sie kündet vom ewig gleichen Reigen des Lebens, vom Werden und Verderben im Spannungsbogen kosmischer Gesetze, von Menschensatzung und Menschenhoffnung. In Peter Fischers hier vorliegenden Kompositionen werden jene der Lyrik eigenen Routen von Raum und Zeit durchfahren, freilich in unverkennbar eigenwilliger Notenschrift: Eindringlich knapp, rätselhaft, aber dennoch lebensprall nahe führt sie hin, hin zu den vollen „Futteralen der Zeit“, hinein in die mehr denn je gefährdete „Spur der Pflugschar“, weiß von „Schauermanns Hunger“ ebenso zu berichten wie von der „Gier der Tycone“, die fortdauert und unstillbar scheint. Über allem aber „Ananke“, die eherne Notwendigkeit, die noch vor und über den Göttern und allem Geschehen wirkt, und dem das noch keimende „ICH“ einer ungewissen Neuzeit ohne sicherndes Netzwerk gegenübersteht, das aber schon „von Staubtanz und Fußspuren im tauenden Lehm“ weiß. Eine rare, eine außerordentliche Poesie mit zumeist gestrophten Versen, den Geist der Antike atmend, dabei dennoch fesselnd aktuell.
„Es gibt viele Möglichkeiten, einen Gedichtband vorzustellen: Wissenschaftlich geprägt, im Vergleich mit bereits vorhandenen Texten, als Schilderung der beim Lesen empfangenen Eindrücke und Stimmungen. Mit seinem aktuellen Gedichtband hat Peter Fischer ein viel beachtetes Buch vorgelegt, für das ich eine sehr persönlich gehaltene Empfehlung abgeben möchte.
Als Kind war ich fasziniert von der geheimnisvollen Welt der griechischen Mythologie. An der Universität studierte ich Hölderlin, vielleicht auch wegen dieser frühen Faszination. In Peter Fischers Gedichtband „Ananke“ bin ich beidem wieder begegnet.
Wort und Ton. Zeus, Hera, Apollo. Die Birnen in dem Gedicht „Günstige Zeiten“ als unverhohlener Fingerzeig auf Hölderlins „Die Hälfte des Lebens“ („Nachts fallen letzte Birnen / Klatschend ins dunkle / Gras und die schneeblauen / Nächte zeigen Dauer an“). Schwermut, den Themen angepasst: Alter, Ende, Vergang. Die Götter als übergroße Zeugen dessen, dem sogar sie sich beugen müssen, Ananke eben, die Personifizierung der Notwendigkeit und des Schicksals. („Wer tritt noch heraus, wenn die / Balkone fehlen, wenn / Sich auf fremden Grund die / Breiten Becken dehnen und / Die Weihestunde der neuen / Götter schlägt“).
Hölderlinsche Gedankenverschlungenheit, Schatten der Odyssee, metrisch Schwergewichtiges – ist hier ein Schulterschluss mit heutiger Lyrik möglich? Ja, Peter Fischer vermag es, das eine mit dem anderen kunstvoll zu verbinden. Seine Themen sind zugleich zeitlos und zeitgemäß.
Die Kindheitserinnerungen in den Gedichten Kindheit I und II werfen Schlaglichter auf das von Krieg verschuldete Leid und das Leben als vaterloser Waisenjunge („Da dämpfte der Mai jäh das Licht / schob mich den wehen Waisen zu…“). Es finden sich Liebesgedichte, Lebensgedichte, durchzogen von dunklen Metaphern, drängend, dem Ende zu, vor der Erinnerung sich beugend. Jahreszeiten gelten als Leitmotiv sich ständig verdichtender Texttinkturen, letheschwarz zum Teil und doch nicht ohne Hoffnung.
Sie erschließen sich dem Leser nicht sofort, diese Gedichte, laden ein zum Erneut- und Gegenlesen. Ein Anhang erläutert die nicht so geläufigen Begriffe. Dieser Gedichtband ist ein Gemenge aus Philosophie, Geografie, Geschichte. Der Kitt, der das alles zusammenhält, ist Peter Fischers großes dichterisches Talent.“
Chefredakteurin Sabine Prilop
„WortNetz“ – VS-Mitgliederzeitschrift / ver.di Heft 02/2009
2008.
ISBN 978-3-933022-52-3.
11,90 €